Ein zentrales Kriterium für gelingendes Leben ist die Schaffung einer inneren Lebenskohärenz und damit die Basis, sozial handlungsfähig werden zu können. In früheren gesellschaftlichen Epochen war die Bereitschaft zur Übernahme vorgefertigter Identitätspakete das zentrale Kriterium für Lebensbewältigung. Heute kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum "Selbsttätigwerden" oder zur „Selbsteinbettung“. Kinder und Jugendliche brauchen in ihrer Lebenswelt „Freiräume“, um sich selbst zu entwerfen und gestaltend auf ihren Alltag einwirken zu können. Zukunftschancen von Heranwachsenden hängen von ihren Möglichkeiten ab, das „Handwerk der Freiheit“ zu erlernen. Viele offenkundige Probleme der in Deutschland aufwachsenden Kinder hängen mit Sozialisationsbedingungen in Familien, Kindergärten oder Schulen zusammen, die an Stelle von zukunftsfähigen Schlüsselqualifikationen an Zielen festhalten, die heute passé sind. Die zentralen Probleme von Heranwachsenden sind mit ungleichen Zugängen zu basalen Ressourcen verknüpft: Zugang zu materiellem Kapital reproduziert sich in symbolischem, kulturellem und sozialem Kapital. Wir müssen uns von der Vorstellung der Ersten Moderne verabschieden, als könnten aus einem für alle verbindlichen Fahrplan biographische Langstrecken-Zugfahrten auf fremd-vorgegebenen Lebenslauf-Gleisen abgelesen werden. Zukunftsfähige Schlüsselqualifikationen zur Lebensbewältigung im globalisierten digitalen Kapitalismus müssen Bildung als eigensinnigen Prozess begreifen, in dem die Selbstorganisationsfähigkeit des Subjektes optimal gefördert werden sollte, damit das Patchwork der eigenen Identität als selbstbestimmt-kreatives Projekt gelingen kann.

Autorenschaft: Prof. Dr. Heiner Keupp
Kontext und Ort des Beitrags: Vortrag bei der 16.bOJA Fachttagung in Zell am See
Originaler Titel des Vortrags: Von der Unmöglichkeit erwachsen zu werden
Quelle: YouTube (dieses Video ist ein externer Beitrag, d.h. Aufnahme und Bearbeitung des Materials erfolgte nicht durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mediathek Jugendarbeit)
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Inhalt
00:00 Einstieg in das Thema Identität
12:55 Der Identitätshype
20:15 Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel
31:46 Klassiker der Identitätsforschung
43:15 Identitätsarbeit in der Spätmodernen
58:42 Verwirklichungschancen für Jugendliche
1:09:30 Fragen und Antworten

Photo via pxhere.com

Prof. Dr. Heiner Keupp

Prof. Dr. Heiner Keupp ist Sozialpsychologe und emer. Professor der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeitsschwerpunkte: Soziale Netzwerke, gemeindenahe Versorgung, Gesundheitsförderung, Jugendforschung, individuelle und kollektive Identitäten in der Reflexiven Moderne und Bürgerschaftliches Engagement

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